PHA – Das große Schlemmen hat begonnen

10.01.2023

PHA – Das große Schlemmen hat begonnen

Zwei Welten, zwei Partner, ein Ziel: FUCHS und Fraunhofer UMSICHT wollen mit dem Winzling Cupriavidus necator Großes bewirken. Das Bakterium beherrscht ein echtes Kunststück: Es frisst Müll und macht daraus Bioplastik. Einblick in ein hoch innovatives Projekt, in dem sich die Anwendungsexpertise aus Mannheim und das Forschungs-Know-how aus Oberhausen hervorragend ergänzen.

Es ist zwar nur gut einen Mikrometer groß, aber es hat riesigen Hunger: das Bakterium Cupriavidus necator. Der Winzling liebt kohlenstoffhaltige Verbindungen und haut alles weg, was reichlich davon enthält: Babywindeln, Essensreste, Altpapier, Klärschlamm… Und das Beste: Er macht daraus, quasi als Stoffwechselprodukt, Bioplastik – genauer: biologisch abbaubare Polyhydroxyalkanoate (PHAs). Diesen PHAs widmet sich das Projekt PHAtiCuS, in dem sich Fraunhofer UMSICHT, FUCHS LUBRICANTS GERMANY, UnaveraChemLab und Fritzmeier Umwelttechnik zusammengeschlossen haben. Denn die Biopolymere haben ausgesprochen großes Potenzial.

DIE AUSGANGSLAGE

Ob Krankenwagen, Windrad oder Zug – all diese Maschinen brauchen Schmierstoffe und die wiederum brauchen, meistens jedenfalls, Verdickungsmittel. Derzeit bestehen die Verdicker aus Metallseifen oder anorganischen Füllstoffen, Kunststoffen und Polyharnstoffen.

 

DAS PROBLEM

Gelangen derartige Produkte im Betrieb der geschmierten Maschinen und Anlagen – konstruktiv bedingt oder durch Leckagen – in die Umwelt, gefährdet das den Boden und das Grundwasser.

 

DIE LÖSUNG

Biologisch schnell abbaubare Schmiermittel, für die es jedoch alternative Verdickungsmittel braucht. Diese sollten vorzugsweise auf Basis von Naturstoffen entwickelt werden – zum Beispiel PHAs.

Was kann sich die Branche von den Biopolymeren erhoffen? Und welche Herausforderungen gibt es für die Forschung und die Anwendung? Darüber berichten Dr. Inna Bretz von Fraunhofer UMSICHT und Rolf Luther, Projektleiter für FUCHS.

Machen gemeinsame Sache: Rolf Luther von FUCHS und Dr. Inna Bretz von Fraunhofer UMSICHT.

Müll fressende Bakterien, die nutzbares Plastik produzieren – das klingt nach dem wahrgewordenen Traum eines jeden Umweltschützers!?

Dr. Inna Bretz: Auf jeden Fall. Die Nutzung von Reststoffen in der Chemie ist schon immer präsent, zum Beispiel in großen Chemieparks. Allerdings funktioniert eine biotechnologische Verwertung von Reststoffen nicht mit jedem „Müll“, denn vorhandene Störstoffe können diese stark beeinträchtigen oder hemmen. Das Adjektiv „nutzbar“ ist wichtig. Polymere herzustellen ist möglich, daraus Kunststoffe mit nützlichen Eigenschaften zu entwickeln – genau daran forschen wir bei Fraunhofer UMSICHT. Aber: Das übergeordnete Ziel muss sein, die Mengen an Müll durch eine nachhaltige Kreislaufwirtschaft sowie sinnvolle Systemlösungen zu vermeiden oder zu reduzieren.

Bitte erklären Sie kurz: Was genau kann Cupriavidus necator?

IB: Mikroorganismen verwenden kohlenstoffhaltige Verbindungen wie Zucker, kurzkettige Säuren, Alkohole, Öle und Fette als „Futter“. Die in den Zellen gebildeten Polyhydroxyalkanoate, kurz PHA, sind Teil des Energiestoffwechsels gewisser Bakteriengattungen, unter anderem bei Cupriavidus necator. Es sind Speicher für Zeiten, in denen zwar Futterquellen, aber keine Nährstoffe wie Stickstoff- oder Phosphorsalze zur Verfügung stehen. 

Uns wiederum können die PHAs als Grundlage zur Entwicklung von biologisch schnell abbaubaren Verdickungsmitteln dienen.

Sind Wahrzeichen der Standorte von Fraunhofer UMSICHT und FUCHS: Der Gasometer in Oberhausen (links) und der Wasserturm in Mannheim.

700000 Tonnen
Schmierstoffe wurden in Deutschland
im Jahr 2020 ausgeliefert.

Wie kam die Forschung auf dieses Bakterium – und wie kann es die Schmierstoffforschung nutzen?

IB: Cupriavidus necator wurde aus Bodenproben isoliert. Mit Zucker als Substrat kann es bis zu 90 Prozent seiner Zelltrockenmasse an PHAs ansammeln und eignet sich somit hervorragend zu deren Herstellung. Reine PHA-Typen sind allerdings nicht mit herkömmlichen Grundöltypen verträglich und müssen daher chemisch modifiziert werden. So lassen sich etwa mechanische, thermische, aber auch Eigenschaften wie Löslichkeit anpassen. Durch gezielte Modifikation der PHAs ist es uns gelungen, ein Verdickungsmittel für Schmierstoffe zu entwickeln.

Fraunhofer UMSICHT und FUCHS arbeiten zusammen im Projekt PHAtiCuS, in dem es eben darum geht: marktfähige Schmierstoffe auf PHA-Basis zu entwickeln. Was genau ist die Aufgabe von FUCHS, was macht Fraunhofer UMSICHT?

IB: Wir entwickeln nicht nur PHA basierte Polymere, die sich als Verdickungsmittel in Schmierstoffen einsetzen lassen. Wir testen auch die ausgewählten Verdicker und Schmierstoffformulierungen auf biologische Abbaubarkeit und führen Lebenszyklusbewertung durch.

Guten Appetit! Ob alte Tüten, Bananenschalen oder sonstiger Müll mit vielen kohlenstoffreichen Verbindungen: Dem Bakterium Cupriavidus necator schmeckt’s.

Rolf Luther: Bei FUCHS setzen wir auf den Mustern von Fraunhofer UMSICHT auf: Wir sehen uns wichtige Eigenschaften der neuen Polymere an, etwa ihre Löslichkeit in Grundflüssigkeiten wie Kohlenwasserstoffe, Ester, Polyglykole und andere. Daran schließen sich rheologische Untersuchungen an, in denen die verdickenden Eigenschaften der PHAs qualifiziert werden. Schließlich werden geeignete PHA-Kandidaten in vollformulierte Schmierfette integriert – und in Labor und Prüffeld anwendungsnah getestet.

60 Prozent
oder mehr muss die
biologische Abbaurate
innerhalb von 60 Tagen
betragen, damit ein
Schmierstoff als „schnell
biologisch abbaubar“ gilt.

Wie leistungsfähig sind diese Schmierfette? Halten sie auch extremen Bedingungen stand, etwa in der Zementindustrie oder in der Antriebstechnik?

RL: In der Tat ist dies ein entscheidender Schritt in der Entwicklung: Es wäre verwegen anzunehmen, dass ein neuer Rohstoff für alle Anwendungen zu marktgerechten Kosten geeignet sei. Nach einer Grundcharakterisierung des Materials geht es also um die Frage, für welche Zwecke es aus technischer, ökologischer und ökonomischer Sicht geeignet erscheint. Dieser Prozess dauert noch an – aber wir haben erste konkrete Ansätze realisiert.

Cupriavidus necator
FamilieBurkholderiaceae
FundortUniversity Park, Pennsylvania
Wohnortin Böden
Größe0,9 bis 1,3 Mikrometer
HobbyFressen
LieblingsessenZucker, kurzkettige Säuren, Alkohole, Öle und Fette
Besonderes Talentlegt Biopolymere wie PHAs als Speicherstoffe an, wenn „Futter“, aber keine Nährstoffe wie Stickstoff- oder Phosphorsalze zur Verfügung stehen.

Bild: Die Rastertransmissionselektronenmikroskop-Aufnahme der bakteriellen Zellen wurde am FELMI-ZFE, Graz, von Frau Dr. Elisabeth Ingolić auf Anfrage des Instituts für Biotechnologie und Bioprozesstechnik, TU Graz, erstellt. Das Bild wurde von Dr. Martin Koller, Universität Graz, zur Verfügung gestellt.

Macht es in Bezug auf die Charaktereigenschaften des PHA eigentlich einen Unterschied, ob das Bakterium Babywindeln oder alte Zeitungen frisst?

IB: Nein, ausschlaggebend für die Herstellung der PHAs ist die Molekülgröße der Futterstoffe. Wird die in Zeitungen oder Stoffwindeln befindliche Zellulose bis zu Glucose heruntergespalten, spielt die Quelle keine Rolle. Es dürfen allerdings keine toxischen Störstoffe im Ausgangsmaterial enthalten sein.

Welche Anwendungen stehen bei den PHAs im Vordergrund?

IB: PHAs sind thermoplastisch, in fast allen Umweltmilieus biologisch abbaubar und bilden während des Abbaus keine toxischen Produkte. Sie können auf konventionellen Anlagen und im 3D-Druck verarbeitet werden. Je nach Eigenschaftsprofil des PHAs können Produkte wie Gebrauchsartikel, Verpackungen, Folien oder Fasern hergestellt werden. Aufgrund seiner Biokompatibilität mit lebenden Geweben werden PHAs auch in der Medizin und Pharmazie verwendet, etwa als Implantat oder Nahtmaterial.

Im Forschungsprojekt ist FUCHS (links) zuständig für die Schmierstoffformulierung und die relevanten Anwendungstests. Fraunhofer UMSICHT übernimmt unter anderem die Voruntersuchungen im Laborbereich und steuert den technischen sowie den wissenschaftlichen Teil des Forschungsprojekts.

RL: Wir haben zwei Produktgruppen vor Augen: Einerseits Schmierfette, hier sind PHAs als Verdicker gefragt, und Gleitlacke, in denen PHAs als Bindemittel dienen. Aber wie schon gesagt: Welche Anwendungen realisiert werden können, ist Aufgabe eines längeren Entwicklungsprozesses.

Wie hoch ist die Nachfrage für solche biobasierten, abbaubaren Schmierstoffe?

RL: Der Markt ist noch relativ klein. Zwar gibt es verschiedene Umweltzeichen, mit denen man die Verträglichkeit eines Schmierstoffs dokumentieren kann, aber es gibt keine Verpflichtung für dessen Einsatz, etwa in umweltsensiblen Bereichen. Und – das muss natürlich auch gesagt werden: Bio-Schmierstoffe sind fast ausnahmslos teurer als konventionelle, aus Mineralöl gewonnene.

90 Prozent seiner Zelltrockenmasse
kann Cupriavidus necator in Gegenwart von Zucker als Substrat an PHAs akkumulieren. Das Bakterium eignet sich somit hervorragend zu deren Herstellung.

Welche Herausforderungen sehen Sie bei PHA-basierten Schmierstoffen?

RL: Gerade in der Phase einer möglichen Markteinführung geht es – neben der Umwelt- oder Nachhaltigkeitsaussage – auch um einen technischen Mehrwert des Produkts. Wenn dieser Nachweis gelingt, lässt sich ein höherer Preis gegenüber dem Kunden rechtfertigen – zum Beispiel, weil der Schmierstoff besonders reibungsreduzierend wirkt. Daher arbeiten wir gerade daran, Anwendungen zu identifizieren, für die der neue Rohstoff besonders geeignet ist.

2024 endet das Projekt PHAtiCuS, Nachfolger der vom Bundesministerium für Bildung und Forschung über dreieinhalb Jahre mit 1,25 Millionen Euro geförderten Forschungsinitiative PHAt.

Die Rohstoffe sind zu etwa 90 Prozent für den CO₂-Fußabdruck des fertigen Schmierstoffs verantwortlich. FUCHS möchte gerne langfristig originär CO2-neutrale Produkte anbieten. Welche Bedeutung hat das Projekt PHAtiCuS für dieses Ziel?

RL: Je nachhaltiger ein Rohstoff ist, desto besser für unsere CO2-Ziele. Aber bitte vergessen Sie nicht den noch viel größeren Beitrag zu CO2-Emissionen in der Nutzungsphase eines Schmierstoffs in einer Maschine. Daher ist es für uns so essenziell, in jeder einzelnen Anwendung den reibungsärmsten, effizientesten Schmierstoff anbieten zu können. Es wäre fatal, in Zukunft Schmierstoffe ausschließlich nach ihrem CO₂-Fußabdruck auszuwählen. Wir müssen diesen mit dem Emissionseinsparungspotenzial in der Anwendung vergleichen und dann die Auswahl mit Blick auf die gesamte Wertschöpfungskette treffen.

Rolf Luther und Dr. Inna Bretz machen sich gemeinsam mit den anderen Projektpartnern stark für nachhaltige Produkte.

Wertvolles Wissen für die Zukunft

Die 1949 gegründete Fraunhofer-Gesellschaft ist eine der weltweit führenden Organisationen für anwendungsorientierte Forschung. Sie beschäftigt mehr als 30.000 Mitarbeitende, überwiegend mit natur- oder ingenieurwissenschaftlichem Hintergrund, in 76 Instituten und Forschungseinrichtungen. Eines davon ist Fraunhofer UMSICHT, das Fraunhofer-Institut für Umwelt-, Sicherheits- und Energietechnik. Hier entwickeln 577 Mitarbeitende innovative, industriell umsetzbare Technologien, Produkte und Services für die zirkuläre Wirtschaft. Im Fokus steht die Balance von wirtschaftlich erfolgreichen, sozial gerechten und umweltverträglichen Entwicklungen.